Mag. Friedrich Baldinger, MBA


Die Franken-Lücke

In den kommenden Jahren werden die Franken-Kredite von 130.000 Privaten und KMU fällig. Bei vielen klafft eine doppelte Deckungslücke. Bei den Gerichten sind richtungsweisende Verfahren anhängig.

Langsam wird es ernst. Unzählige Kredite, um die Jahrtausendwende in Schweizer Franken aufgenommen und in Euro ausbezahlt, werden fällig. Damals als günstige Option für Häuslbauer beworben, entwickelte sich diese Finanzierungsform ab 2008 zur Zeitbombe. Der Franken wertete im Vergleich zum Euro um rund 50 % auf und ließ die Verbindlichkeiten explodieren.

Darüber hinaus sparten viele Kreditnehmer die Rückzahlung für die endfälligen Darlehen in Tilgungsträgern, meist Lebensversicherungen oder Fonds, an. Deren Performance blieb ab dem Börsencrash 2008 ebenfalls hinter den Erwartungen. Wer geplant hatte, das aushaftende Darlehen von 200.000 Euro innerhalb von 15 oder 20 Jahren anzusparen, bekommt lediglich 160.000 bis 180.000 Euro zusammen.

Somit klafft bei vielen Krediten inzwischen eine doppelte Lücke. Wie die Finanzmarktaufsicht (FMA) Mitte 2015 erhob, beläuft sich die Differenz, inklusive der Verluste bei den Tilgungsträgern, im Schnitt auf 24 %. Bei einem aktuellen Kreditvolumen von 24 Milliarden Euro entspricht das in etwa einem Fehlbetrag von sechs Milliarden Euro, der von den Kreditnehmern zusätzlich aufgebracht werden muss.

Exit-Strategie

Mit dem Näherrücken des Rückzahlungszeitpunktes stehen mehr als 130.000 private Haushalte, Kleinunternehmen, aber auch Länder und Gemeinden vor einem großen Problem. Ihre Schulden sind durch die Aufwertung des Franken massiv angewachsen. Nur knapp die Hälfte der Kreditnehmer folgte dem Rat der FMA und der Banken, in einen Eurokredit umzuwandeln, den Tilgungsträger stillzulegen und eine Ratenvereinbarung zu treffen. Viele scheuen davor zurück, ihre Verluste zu realisieren. Solange die Rückzahlung nicht schlagend wird und für das Darlehen nur die laufenden Zinsen anfallen, lebt die Hoffnung, der Franken-Kurs könne wieder sinken. Dafür müsse aber, so die einhellige Meinung der Experten, ein Wunder geschehen.

Franz Rudorfer, Geschäftsführer der Sparte Banken und Versicherungen in der Wirtschaftskammer, plädiert für »individuelle Lösungen«, jeder einzelne Fall müsse für sich analysiert werden: »Es gibt keine Standardlösungen, da die Situation jeweils unterschiedlich ist. Im Interesse der Kunden besteht auch die Bereitschaft, die Laufzeiten dieser Kredite zu verlängern, sofern gleichzeitig risikominimierende Maßnahmen vereinbart werden.«

Das Land Salzburg zog im Vorjahr die Notbremse und konvertierte. In den Jahren 2007 und 2008 hatte eine Tochtergesellschaft in mehreren Tranchen einen Franken-Kredit aufgenommen, 50 Millionen Euro Schulden daraus stammten noch aus der Errichtung der Salzburgarena und dem Neubau mehrerer Messehallen. Für das Währungsrisiko haftete das Land. Das böse Erwachen kam am 15. Jänner 2015. Die Schweizer Nationalbank hob den »garantierten« Mindestkurs von 1,20 Franken je Euro auf, die Wechselquote rasselte auf 0,85 in die Tiefe. Durch die massive Aufwertung des Schweizer Franken wog der 80 Millionenschwere Franken-Kredit plötzlich fast 80 Millionen Euro. Das neue Messezentrum war zum Millionengrab geworden. Insgesamt 26,2 Millionen Euro kostete der Umstieg in den Euro – »inklusive Spesen und Nebenkosten um 800.000 Euro unter den erwarteten 27 Millionen Euro Verlust«, hätte es laut Finanzreferent Christian Stöckl noch schlimmer kommen können.

Auch in Wien bereitet die Stadt eine Exit-Strategie vor. Bis 2020 sollen die-Kredite in Tranchen von zumindest 150 Millionen Franken (entspricht derzeit rund 138 Mio. Euro) in Euro umgeschichtet werden. Ein Drittel ihrer Schulden hält die Stadt Wien in Franken, insgesamt umfasst das Portfolio 1.992,7 Millionen Franken. Die Buchverluste hatten sich auch hier nach dem »Frankenschock« faktisch über Nacht um rund 300 Millionen Euro erhöht. Die Stadt realisierte diese Verluste jedoch nicht, sondern »rollierte« nur. Im Jänner 2016 betrug die Verschlechterung durch den höheren Franken-Kurs noch rund 131 Millionen Euro.

Späte Aufklärung

Zwar haben die Banken seit 2008 auf Risiken hingewiesen und die Neuvergabe von Fremdwährungskrediten für private Haushalte de facto gestoppt, Konsumentenschützer wollen dennoch die Institute stärker in die Pflicht nehmen. So führt der Verein für Konsumenteninformation (VK I) einen Musterprozess, um eine gesicherte Rechtsbasis zu schaffen, sollten Banken beginnen, nicht zahlungsfähige Kunden zu klagen. Nach Ansicht von VKI-Jurist Peter Kolba hätten sich viele Kreditnehmer mangels umfassender Informationen in das Franken-Abenteuer gewagt. Spätere Risikoaufklärungen durch die Banken wären nur erfolgt, um Verjährungsfristen zu erwirken.

Auch der Linzer Sachverständige Friedrich Baldinger weist in einem Gerichtsgutachten für das Landesgericht Wels darauf hin, dass die FMA bereits seit 2003 vor Fremdwährungskrediten gewarnt hatte. Da hatte der Boom aber erst begonnen. Eine Absicherung des Kredites mit einer Stop-Loss-Order, wie sie mit vielen Kreditnehmern ab 2011 vereinbart wurde, sei nicht ausreichend gewesen, so Baldinger: »Eine sorgfältige Bank hätte einen Kunden, der nicht bereit gewesen wäre, eine weitere negative Kursentwicklung von unter 1,20 zu akzeptieren, darauf hinweisen müssen, dass die Möglichkeit besteht, dass es bei einem hoch volatilen Markt zu wesentlich schlechteren Kursen kommt.« Der Linzer Rechtsanwalt Michael Poduschka erzielte nach eigenen Angaben in rund 100 ähnlich gelagerten Fällen eine außergerichtliche Einigung mit den Banken. Für 20 Klienten reichte er Klage ein.

Gerichte am Wort

Im Burgenland verklagte nun erstmals ein Unternehmen seine Hausbank. 2007 hatte die Mattersburger Druckerei Wograndl für die Anschaffung einer neuen Druckmaschine acht Millionen Euro in Franken aufgenommen und den Kredit mit Lebensversicherungen als Tilgungsträger hinterlegt. Als der Franken immer stärker wurde, empfahl die Bank 2012 eine Stop-Loss-Order bei 1,19 Franken je Euro. Sollte der Kurs unter diese Marke fallen, würde der Kredit automatisch konvertiert. Als am 15. Jänner 2015 die Kurse verrückt spielten, erfolgte die Umwandlung allerdings zu dem höchst ungünstigen Kurs von 1,01 – statt der kalkulierten 200.000 Euro Verlust beläuft sich der Schaden nun insgesamt auf 1,66 Millionen Euro. Eine Schlichtung des Streits scheiterte, nun haben die Gerichte das Wort.

Seitens der Banken wird kritisiert, dass gerade jene Kreditnehmer vor Gericht ziehen, die sich sehr wohl gut auskennen. Rund 1.000 der 1.800 betroffenen Kunden nahmen das Angebot an, innerhalb von vier Wochen kostenlos zum aktuellen Kurs in den Franken zurück zu wechseln. WKO-Bankenvertreter Rudorfer spricht diesbezüglich von einer »fairen Lösung«. Trotzdem starteten VKI und Arbeiterkammer im Vorjahr ein Sammelschlichtungsverfahren. Für 140 Kreditnehmer hatte die Vermittlung der Konsumentenschützer Erfolg. 22 Personen, die nicht wieder in den Franken wollten und das Angebot ablehnten, ziehen mit ihrer Unterstützung vor Gericht.

Der Anwalt Clemens Pichler steigt indessen gleich eine Stufe höher: Er klagte im Namen von drei Privatpersonen gleich die Schweizerische Nationalbank (SNB). Diese habe noch Anfang Jänner 2015 öffentlich das Festhalten am Euro-Mindestkurs von 1,20 Franken bekräftigt, wenige Tage später aber den Kurs freigegeben. Pichler sieht darin eine rechtswidrige Täuschung der Anleger. Für einen Wiener Mandanten konnte der Anwalt bereits ein Versäumnisurteil erwirken. Die Schadenssumme betrug 13.000 Euro, die SNB legte Berufung ein. Der Ausgang des Verfahrens dürfte richtungsweisend für unzählige Kreditverträge sein. Durch die Aufgabe des Mindestkurses erlitten österreichische Kreditnehmer hunderte Millionen Euro Schaden.

Lange Laufzeiten

Fälle wie diese könnten Banken und Gerichte noch länger beschäftigen. Die Laufzeiten erstrecken sich teilweise über mehr als 20 Jahre und werden erst nach 2030 schlagend. Ein günstigerer Frankenkurs ist auch langfristig nicht in Sicht: Der Wechselkurs pendelte sich zwischen 1,08 und 1,10 ein. Der durchschnittliche Einstiegskurs lag 2008 bei 1,55.

Die Banken müssen also damit rechnen, um ein bis drei Milliarden Euro umzufallen, weil die Kreditnehmer die Fehlbeträge nicht aufbringen können. Umso vehementer drängen sie zur Konvertierung – zuletzt entschlossen sich jedoch immer weniger Kunden zu diesem Schritt. Seit Verhängung des Neuvergabe-Stopps im Herbst 2008 bis zum Ende des dritten Quartals 2015 sank das aushaftende Volumen an Fremdwährungskrediten an private Haushalte wechselkursbereinigt um 23,66 Milliarden Euro (minus 65,5 %). Knapp ein Fünftel des gesamten Kreditvolumens wurde nicht in Euro aufgenommen, zum Höhepunkt des Fremdwährungskreditbooms Mitte 2006 waren es immerhin noch 31,8 %. Rund 17 % der aushaftenden Franken-Kredite gingen laut FMA an Unternehmen, 9 % an Kommunen.

Die derzeitige Nullzinsphase entschärft die Situation derzeit ein wenig. »Insbesondere profitieren die Kreditnehmer natürlich von den historisch niedrigen Zinsen, die aktuell die laufenden Zahlungen häufig stark reduzieren«, erklärt Bankensprecher Rudorfer. Auch Immobilienspezialisten beurteilen die Lage weniger dramatisch. Steigende Preise auf dem Häusermarkt würden das Risiko reduzieren, allenfalls wäre mit einem Anstieg von Notverkäufen oder Zwangsversteigerungen zu rechnen. Ein Zusammenbruch wie auf dem US-Markt 2008 gilt als unwahrscheinlich. Ob Privatperson oder Unternehmen – der Verlust des Eigenheims oder einer Firmeninvestition wäre allerdings in jedem Fall für die Betroffenen einschneidend.

Quelle: http://www.report.at/home/aufmacher/item/88959-die-franken-luecke
Erschienen in: Report
Datum: Donnerstag, 14.04.2016
Autor: Mag. Angela Heissenberger

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